Der passionierte Schreiner zeigt uns eines seiner aufwändigsten Projekte und einen ganz besonderen Fund

Dank Just-in-time-Lieferung braucht eine Schreinerei heutzutage praktisch kein Lager mehr. Conradin Schwab von Schwab & Partner in Pontresina hat trotzdem eines. Er kauft Antikholz und lagert es so lange bei sich ein, bis sich die passende Gelegenheit für das jeweilige Stück findet. 

«Was meint ihr? Wie alt ist der?», fragt Conradin Schwab seine Besucher und zeigt auf einen besonders dicken, zerfurchten Baumstamm. Zur Runde gehören Markus Lins, Aussendienstmitarbeiter, und Francesco Luca, Verkaufsleiter bei OPO Oeschger. Sie stehen vor dem 300 Quadratmeter grossen Antikholz-Lager von Conradin Schwabs Firma Lain & Lö in Pontresina. Hier lagern Balken, Dielen, Böden und Decken aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Doch der Baumstamm davor ist um einiges älter. «Dieses Holz stammt aus dem Jahre 2400 v. Chr.», löst Schwab sein Rätsel auf. «Er ist auf 2’500 Metern Höhe aus einem zurĂĽckgehenden Gletscher hervorgekommen.» Nachdem die Universität Bern eine Probe genommen und das Alter der Lärche bestimmt hatte, erfuhr Conradin Schwab von dem Fund. Er brachte den 800 Kilo schweren Koloss daraufhin nach Pontresina. Was er mit ihm vorhat, wird er uns noch erzählen. 

Doch zuerst machen wir uns auf den Weg zu seinem Lieblingsprojekt: zwei traditionelle Engadiner Häuser mit Heustall, die er komplett restaurieren und zu einem grossen Wohnhaus ausbauen durfte. Die Häuser liegen mitten im historischen Dorfteil von Pontresina und sind von aussen eher unscheinbar. Doch dass dieser Eindruck täuscht, wird sofort klar, als die antike Holztür geöffnet wird und wir eintreten dürfen. Die Räume sind gross und hoch; die Einrichtung ist dezent, was dazu führt, dass die Holzböden, -wände und -fenster erst richtig zur Geltung kommen. Auch Details wie die antiken Beschläge fallen ins Auge. Conradin Schwab führt uns in den einzigen kleinen Raum, dessen Inneneinrichtung komplett aus Holz besteht: die Stube. «Hier haben wir die Böden und Decken ausgebaut, restauriert und wieder eingebaut, die Wände gewaschen, Farben abgetragen und die Patina aufbereitet», erklärt er. 

«Die Tür stammt übrigens aus einem anderen Haus, das einmal abgebrannt ist. Ich fand, das passt ganz gut, weil auch dieser Dorfteil von Pontresina einmal den Flammen zum Opfer gefallen ist. Dieses Gebäude hat das Unglück mit nur wenigen Brandspuren überstanden.» Conradin Schwab kennt die Geschichte seiner antiken Holzstücke und achtet darauf, dass sie – zusammen mit der Optik – zum neuen Einsatzort passt. «Das antike Holz in meinem Lager bekomme ich, wenn Häuser abgerissen oder umgebaut werden. Dann hole ich es ab, lagere es ein und warte auf ein Projekt, zu dem dieses Holz perfekt passt.

Das meiste davon ist Arvenholz aus Tirol und Südtirol. Da auch hier im Oberengadin schon immer Arve wuchs, kam es in den Gebäuden zum Einsatz, und auch der Baustil der Regionen ähnelt sich. Doch bis Conradin Schwab ein passendes Projekt für einen bestimmten Balken oder ein spezielles Tor gefunden hat, können schon mal zehn, fünfzehn Jahre vergehen.

Antikholz ist mehr als nur ein Trend, da ist sich Conradin Schwab sicher. Vor allem Privatkunden kaufen sich mit einer 400-jährigen Decke Exklusivität und Geschichte. «Viele wollen etwas, das nicht jeder hat.» Und das bekommen sie auch. Etwa zwei Jahre dauerte der Umbau des geschützten Baus von einem Heustall in ein modernes Privathaus. Eine Zeitspanne, die in der Branche fast utopisch anmutet. «Alles muss immer schneller gehen», so Conradin Schwab. «Das war früher anders. Heute muss alles schon morgen fertig sein. Zum Beispiel in der Hotelbranche. Die Häuser schliessen zu Ostern. Dann entscheidet sich die Geschäftsleitung für einen Umbau, der jedoch spätestens zur Eröffnung im Juni über die Bühne gebracht sein muss.» Eine Entwicklung, die man auch bei OPO Oeschger spürt. «Die Kunden erwarten, dass ihre Bestellung am nächsten Tag geliefert wird», so Markus Lins. «Das ist heutzutage kein Zusatzservice, sondern Standard. Auch bei uns. Für einige Regionen in der Schweiz bieten wir sogar schon eine Lieferung am selben Tag.» Bereits seit 1957 arbeitet OPO Oeschger eng mit der Schreinerei Schwab zusammen, liefert Beschläge, Zubehör und unterstützt das Unternehmen mit Speziallösungen.

Für das Geschäft mit dem Antikholz hat Conradin Schwab 2014 die Firma Lain & Lö gegründet. Doch schon Jahre vorher übernahm er die Schreinerei seines Vaters und stellte mit Peter Alder und Thomas Faller zwei weitere Geschäftsführer ein. Die beiden kümmern sich um Fenster, Türen und Möbel sowie den gesamten Innenausbau von Wohnungen und Häusern. Neun Angestellte arbeiten in der 500 Quadratmeter grossen Werkstatt. Hier werden neben antiken Hölzern auch neue bearbeitet.

«Wir verwenden vorwiegend heimisches Arvenholz sowie Lärche und Fichte», erklärt Conradin Schwab. «Eiche und Kirsche müssen wir importieren, aber das ist nicht allzu häufig der Fall, da auch unsere Kunden auf Regionalität Wert legen.» Deshalb sieht der Schreinermeister auch die Nähe zu Italien nicht als Problem. «Die italienischen Firmen haben vorwiegend italienische Kunden. Den Engadinern sind Schweizer Qualität und Termintreue wichtig.»

Auch die Zweitwohnungsinitiative, die 2012 angenommen wurde, bescherte der Firma nur einen kurzen Dämpfer. «Das lag hauptsächlich daran, dass die Rechtslage noch unklar war», so Conradin Schwab. «Doch heute merken wir davon nichts mehr.» Hinzu kommt, dass es schon vor der Abstimmung in Pontresina ein Kontingent für Zweitwohnungen gab. Es hat sich also nicht allzu viel geändert.

Conradin Schwab ist ohnehin kein Mensch, der pessimistisch in die Zukunft schaut. Obwohl er sich schon hin und wieder fragt, wer einmal seine Schreinerei übernehmen könnte. «Wir suchen natürlich nach geeigneten Mitarbeitern und eventuellen Nachfolgern. Aber das ist nicht so einfach. Vor allem, wenn immer wieder das Alltagsgeschäft dazwischenkommt.» Und das geht für Conradin Schwab vor. Im Bücherregal seines Büros stehen Titel wie «Häuser im Engadin», «Tiroler Bauernstuben» und «St. Moritz Interiors». Der Unternehmer liebt seine Heimat und deren Architektur. Und er liebt die Berge. Im Winter fährt er Ski, im Sommer geht er klettern. Er kennt hier jeden Hügel, jeden Stein und jeden Baum. Seit Jahren schon engagiert er sich in der Bergrettung und der Lawinenkommission. Diese Kontakte haben ihn auch zu dem Fund der Gletscher-Lärche geführt, die nun schon seit einigen Wochen vor seinem Lager liegt. Doch nicht mehr lange. Bald wird der Stamm mit einer Infotafel bei der Gondel oberhalb von Pontresina stehen. Conradin Schwab will den spektakulären Fund so der Öffentlichkeit zugänglich machen.

1992 übernahm Conradin Schwab die Schreinerei seines Vaters in Pontresina und entwickelte sie von der Bauschreinerei mit Fensterproduktion zu einer Innenausbau- und Möbelschreinerei weiter. 2005 kam dann das Geschäft mit Antikholz dazu, für welches Conradin Schwab die Firma Lain & Lö gründete.